Der Zaubertrank
Der Zaubertrank
Papa drückte mich fest. „Pass auf dich auf und hex nicht so viel, sonst passiert wieder ein Unglück wie damals in deiner Hexenvolksschule.“ Ich verdrehte die Augen und wurde im Gesicht leicht rot. „Ja und außerdem übernachte ich mit Ida. Da kann doch nichts passieren.“ Er öffnete mir die Wohnungstür, und winkte noch zum Abschied. „Schreib gute Noten am Montag.“, rief er mir nach.
Gemütlich ging ich los. Ich hatte ein wenig schlechtes Gewissen meinen Vater anzulügen. Als ich schließlich vor dem Wald stand, bewegten sich die Zweige zur Seite, und bildeten ein Tor, durch das ich hindurch ging. Hinter mir schlossen sich die Zweige wieder wie Vorhänge. Dann ging ich zu dem Ort, an dem wir uns verabredet hatten. Unter meinen Füßen knackten Zweige und Äste. Der Wind wehte mir die Haare aus dem Gesicht. Irgendwann nach langem gehen kam ich endlich an. Um eine kleine Lichtung standen mehrere Bäume und formten ein Herz, wodurch an diesem Platz viel Energie entstand. Es war das Herz des Waldes. In der Mitte der Lichtung stand eine kleine Hexenhütte. Ida wartete davor schon auf mich.
„Hi, Ida“, sagte ich.
„Hi.“, antwortete Ida mir. ,,Und was machen wir jetzt hier?“, fragte mich Ida nervös.
„Wir gehen in die Hexenhütte!“, sagte ich. Ich war fest entschlossen meinen Plan umzusetzen.
„Was? Da dürfen wir doch ohne Erlaubnis nicht hin. Sie gehört doch Magus unserem Lehrer.“, sagte Ida voller Angst.
„Sei doch nicht so langweilig.“, sagte ich und schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. ,,Heute ist Magus nicht da.“ Ich ging zur Tür und öffnete sie. Ich musste staunen, wie viele Tränke und Kräuter sich auf den Regalen stapelten. Hinter mir kam auch Ida in den Raum.
„Was machen wir denn jetzt?“, drängelte sie.
„Wir machen jetzt einen Trank für bessere Noten!“, sagte ich.
„Aber Magus ist immer so streng mit uns. Wenn er erfährt was wir vorhaben, können wir die Schule auch gleich verlassen.“, entgegnete Ida. „Und so gut sind wir im Zaubertränke machen noch nicht.“
„Ida, du verstehst das nicht.“, sagte ich. „Ich muss die Prüfung unbedingt bestehen und ich hatte diese Woche einfach keine Zeit um zu lernen. So kompliziert kann der Trank doch nicht werden. Das geht schon.“ Ida blickte mir tief in die Augen und sah sehr unsicher aus. Doch sie sagte schließlich: „Ok, aber nur, weil du meine beste Freundin bist.“
Ich ging zu einem Kasten und holte das Hexenbuch aus einem Regal das schon sehr verstaubt war. Ich pustete so kräftig auf den Einband, dass meine Freundin von oben bis unten wie mit Puderzucker bedeckt war. Ida blickte mich böse an und ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. Ich entschied mich los zu legen und sagte an. Als erstes musste ich ein Blatt getrockneten Salbei in die Schüssel legen. Danach kam Ida dran. Sie musste ein gehacktes Krötenbein in die Schüssel legen und alles miteinander vermischen.
„Woher kriegen wir denn ein gehacktes Krötenbein?“, protestierte Ida.
„Ich glaube Magus hat in diesem oberem Regal viele absurde Sachen, vielleicht auch das.“, sagte ich. Ida schleppte einen kleinen Hocker heran. Ich kletterte darauf und schaute auf das Regal zwischen die vielen angefüllten Behältern. Zwischen gerösteter Kamille, Fliegenbeinen und Wildschweinborsten fand ich in der hintersten Ecke auch ein paar gehackte Krötenbeine. Als nächstes musste ein getrockneter Regenwurm in die Schüssel und gehackte Pusteblumen die wir auf der kleinen Wiese gefunden hatten.
„Und sind wir jetzt fertig?“, fragte Ida.
„Ja, jetzt sind wir fertig.“, antwortete ich. „Wer probiert als erstes?“ Ich schaute Ida an und sie verzog ihr Gesicht in eine angewiderte Grimasse. „Na gut von mir aus, dann trinke ich den Trank eben.“
Ida reichte mir den mittlerweile grünen Trank.
„2 Schlücke das steht hier im Hexenbuch.“, las Ida vor.
Ich verzog das Gesicht und hielt mir die Nase zu. Schnell trank ich den Trank aus. Es schmeckte scheußlich nach Spülmittel und Kräuterbonbons. Als ich Ida ins Gesicht schaute, erkannte ich Aufregung in ihren Augen.
„Was ist los, schaue ich etwa schon schlauer aus?“, fragte ich.
„Du bist unsichtbar geworden! Zuerst nur deine Arme und Beine aber jetzt bist du weg! Einfach unsichtbar.“ Ich schaute zu meinen Händen und tatsächlich: Sie waren verschwunden, ich konnte sie nicht sehen. Doch wenn ich sie berührte spürte ich alles wie immer.
„Hilfe was ist mit mir passiert?“, schrie ich hilflos.
,,Keine Ahnung. Ich glaube wir haben etwas falsch gemacht.“, rief Ida.
Mein Herz klopfte vor Aufregung. „Aber wann werde ich denn wieder sichtbar?“
,,Ähm wenn alles gut läuft dann in zwei Stunden. Hier steht: Alle Tränke mit Einnahmen von zwei Schlücken verlieren ihre Wirkung nach ungefähr zwei Stunden. Das haben wir doch schon mal gelernt.“, sagte Ida besserwisserisch. Ich stöhnte auf.
Es waren die längsten zwei Stunden meines Lebens. Ich hüpfte von einem Bein zum anderen und tapste durch den kleinen Raum. Ich blickte auf die Uhr doch es waren erst wenige Minuten vergangen. Dem Sekundenzeiger schaute ich lange zu und ich ärgerte mich das er so langsam ging.
„Bin ich wieder sichtbar?“, keuchte ich voller Aufregung.
„Nein noch nicht“, kicherte Ida.
„Warum lachst du?“, fragte ich sie böse.
„Weil du das alle fünf Sekunden fragst.“
Mein Herz schlug so schnell, dass ich dachte man müsste es hören können.
„Jetzt!“, schrie Ida voller Aufregung. „Du wirst sichtbar!“ Schnell schaute ich runter zu meinen Füßen, doch ich sah nichts.
„Hä? Ich sehe mich immer noch nicht“, sagte ich.
„Oje irgendwie sehe ich nur deinen Kopf.“,flüsterte Ida. Ich schrie auf: „Was? Oh nein!“
Ich fing an zu weinen. Sofort kam Ida zu mir und streichelten mir über den Rücken, oder probierte möglichst dort hinzu zielen.
„Was haben wir denn eigentlich am Trank falsch gemacht“, fragte ich.
„Ich weiß es nicht.“, sagte Ida. „Aber schauen wir doch mal im Hexenbuch.“
Kurze Zeit später hockten wir zu zweit vor dem Buch und lasen die Seite noch ein mal gründlich durch. Ich erkannte schließlich eine klitzekleine Schrift.
„Schau mal! Da steht was ganz klein geschrieben.“
„Na was steht denn da?“, drängelte Ida.
Ich las vor: ,,Achtung, bei falscher Zubereitung, wie zum Beispiel ein Krötenbein zu viel, bekommt man einen Unsichtsbarkeitstrank anstatt eines Tranks für immer Gute Noten. Zu Risiken und Nebenwirkungen zählen Körperteile, die für eine unbestimmte Zeit unsichtbar bleiben.Wenn dies passiert, zum Aufheben der Wirkung auf keinen Fall den Spruch für Immer-Gute-Noten, sondern den Spruch für den Unsichtsbarkeitstrank verwenden!“
Ich zeigte auf die kleine Schrift. „Was, es gab einen Zauberspruch?“, fragten wir uns. Wir sahen uns fragend an. Sofort bekam ich Angst.
„Was ist wenn ich für immer unsichtbar bleibe?“, schluchzte ich.
„Es wird schon alles wieder gut.“, sagte Ida aufmunternd. „Aber…Ich habe doch gesagt, dass wir es lieber lassen sollten.“ Ich blickte wieder zum Hexenbuch, das ich immer noch in der Hand hielt, und starrte für eine lange Zeit auf die geöffnete Seite. Wir mussten eine Lösung finden. Morgen war schon die Internationale Hexenprüfung. Wenn man sie bestand, dann war man eine ausgebildete Junghexe. Also fingen wir mit der Suche nach dem Zauberspruch für den Unsichtbarkeitstrank an. Ich nahm als erstes das schöne kleine dicke Hexenbuch auf dem stand: „Zaubertränke und Zaubersprüche.“ Ich las in drei Stunden das ganze Buch durch, doch es stand nichts von einem Spruch. Ida und ich lasen die ganze Nacht Buch für Buch aus dem Regal. Als ich das letzte, kleine, unscheinbare Buch in die Hand nahm hatten wir schon fast unsere Hoffnung verloren. Darauf stand in alt-hexsischen Buchstaben ein Spruch.
„Och, menno! Diese Zeichen hatten wir erst im letztem Monat gelernt, und ich habe es schon vergessen.“, murmelte ich so leise, dass es Ida beinahe nicht hören konnte. Wir suchten also ein Buch, in dem die Zeichen abgebildet waren und schrieben dann den Spruch ab: Gegenmittel für Unsichtbare Körperteile. Ich jubelte und machte einen Freudentanz.
Wir entzifferten den Zauberspruch Wort für Wort und ich las ihn laut vor, damit es auch Ida hören konnte: ,,Schatten still und Nebel dicht versteckt man sein im dunklen Licht, was unsichtbar, wird klar gemacht, so habe ich alles gut gemacht.“
Es war ruhig niemand von uns redete. Ich wartete gespannt und flüsterte: „Bin ich für dich sichtbar?“
„Nein.“, sagte Ida. „Aber jetzt! Jetzt werden deine Füße sichtbar und deine Arme!“, schrie sie auf. Überglücklich umarmte ich meine tolle Freundin. Mein Herz schlug schließlich auch wieder langsamer. Wir schlossen zur Sicherheit unseren Trank zu den Verbotenen Tränken in einen großen schmalen Schrank der schon sehr verstaubt war.
Die Internationale Hexenprüfung haben meine Freundin und ich schlussendlich fehlerfrei bestanden. Da wir die ganze Nacht den passenden Gegenspruch gesucht hatten, haben wir den ganzen Stoff gelernt und auch verstanden. Ich war überglücklich das alles nochmal gut gelaufen ist. Wir werden in Zukunft nicht mehr so schnell unbeaufsichtigt einen Zaubertrank brauen. Glaube ich zumindest…