Pech-Marie

Pech-Marie

„Beeil dich, vielleicht erwischst du den Bus noch!“, rief mir meine Freundin hinterher. Ihre Stimme klang hektisch, während sie sich ihre kastanienbraunen Locken unter die Kapuze stopfte, um sie vor dem leichten Regen zu schützen.
„Zu spät!“, keuchte ich. „Der ist eben abgefahren.“
Sie verzog das Gesicht: „Na super. Auf dem Land kommt der nächste Bus… irgendwann. Vielleicht morgen.“
Ich kramte in meiner Jackentasche nach dem Handy. „Ich schaue nach.“ Der Bildschirm leuchtete auf und mit ihm die kalte Wahrheit: „Noch exakt 38 Minuten.“
„Na dann, Pech gehabt“, meinte sie und grinste. Dabei schob sie sich den Rucksack über die Schulter. Ich konnte nur den Kopf schütteln: „Sehr witzig.“
„Ich muss los, sonst wird meine Mutter sauer. Bis morgen!“ Sie winkte kurz, drehte sich um und verschwand hinter der nächsten Ecke. Ich blieb allein zurück.

Der vorletzte Schultag war vorbei, und während alle schon von den Ferien träumten, hatte ich noch eine letzte Pflicht vor mir: den Klavierunterricht. Und das ausgerechnet bei Chloé – der strengsten Lehrerin in der ganzen Musikschule.

Es war eine dieser grauen Nachmittage, an denen man spürt, dass etwas schiefläuft, bevor es überhaupt beginnt. Der Himmel hatte sich plötzlich verdunkelt, und mit einem Mal klatschte der Regen erbarmungslos auf mich herab. Ohne Jacke, im Sommerkleid und Sandalen, ging ich durch die Straßen. Ich liebte den Geruch von nassen Asphalt, aber mein Ranzen war nass und meine Stimmung im Keller. Ich schaute auf meine Armbanduhr. „Mist! Schon 15 Minuten zu spät.“

Ich hetzte durch die nassen Gassen, wich einer Frau mit Hund aus, stolperte fast über die Leine, und in diesem Moment fuhr ein Auto an mir vorbei, mitten durch eine riesige Pfütze. Das eiskalte Wasser spritzte mich von der Seite an. Ich fluchte leise, hustete kurz und rannte weiter.

Dann sah ich sie, eine Bananenschale. Ich trat bewusst daneben, nur um im nächsten Moment auf nassen Blättern auszurutschen, und fiel direkt in eine Pfütze. Meine Socken waren klitschnass. „Geht es noch schlimmer?“, murmelte ich in den Regen. Ich fühlte mich wie ein einziges Missgeschick auf zwei Beinen.

Endlich erreichte ich die Musikschule. Ich zog an der Tür, obwohl man hätte drücken müssen, und stieß mir dabei den Kopf. Der Flur war leer, kalt, und klang hin und wieder nach ein paar gedämpften Instrumenten. Vor der Tür 7 stand sie schon: Chloé. Schlank, perfekt gestylt, mit einem Blick, der Messer hätte schärfen können. Pink lackierte Fingernägel. Eine Haltung wie aus Marmor. Hochmut in Person.

„Marie! Weißt du eigentlich, wie spät es schon ist?“ Sie musterte mich von oben bis unten. Ich zögerte dann erklärte ich aber: „Ich… also… es war.“ Doch da unterbrach sie mich und drängte mich in den Raum.

,,Hinsetzen. Spielen.“ Ihre rechte Augenbraue hob sich so hoch, dass ich dachte, sie verlässt gleich ihren Kopf.

Ich setzte mich ans Klavier, rückte den Hocker zurecht. Der Boden war glatt und nass von meinen durchnässten Socken. Als ich das Pedal mit dem linken Fuß treten wollte, rutschte dieser plötzlich weg. Instinktiv wollte ich mich mit dem rechten Fuß abstützen, vergeblich. Der Hocker wackelte, und ich verlor das Gleichgewicht.
Mit einem dumpfen BONGGG schlug mein Ellenbogen auf die tiefste Taste, und ich landete mit dem Gesicht direkt an der harten Notenablage. Das tat weh. Richtig weh.

Chloé schnappte nach Luft. ,,Mon dieu“, flüsterte sie.

Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Ich hoffte nur, das sie nicht knallrot wurden. Aber natürlich taten sie das.

„Moderner Einstieg?“, versuchte ich es mit einem verlegenen Lächeln. Das Notenblatt, das an meiner Stirn klebte, nahm ich schnell ab.

Sie verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Konzentriere dich einfach,“ fauchte sie.

Ich holte tief Luft. Ich drückte die erste Taste. Kalt, glatt, genau so wie ich es kannte.

Auf einmal war alles weg. Der Regen. Die Kälte. Der peinliche Sturz. Alles verschwand, sobald meine Finger über die Tasten glitten. Ich hatte es Dutzende Male geübt. Meine Hände spielten fast wie von allein, als würde mein Herz sie führen. Es war, als tanzte meine Seele einen Walzer, frei und schwerelos.

Mit dem letzten Ton schloss ich die Augen, kurz, bevor er verklang.

Chloé nickte langsam. Ihre Stimme war plötzlich ganz ruhig. „Perfekt. Kein einziger Fehler.“

Ich atmete auf. Ich verbeugte mich zu Spaß.

„Merci“, sagte sie kühl, aber nicht unfreundlich.

Ich lächelte. „Ohne ein bisschen Drama geht’s bei mir wohl nicht.“

Mit einem Lächeln verließ ich das Gebäude. Die Wolken verzogen sich langsam, der Himmel wurde heller. Vielleicht bin ich gar kein Mensch voller Pech. Vielleicht bin ich einfach ein Missgeschick mit Taktgefühl.
Ich schmunzelte. „Ja, das muss es sein.“

Und genau da trat ich in einen Hundehaufen.

Autor

  • Foxy hat viele Tiere und kümmert sich sehr liebevoll um sie. Auch mit den Pflanzen kennt sie sich bestens aus und konnte sogar Avocado aus den Samen züchten. Foxy ist sehr vielseitig: naturfreundlich, sportlich, musikalisch, kreativ.

    Zusammen mit Jess übernimmt sie in der Redaktion die Redaktionsleitung. D.h. sie muss regelmäßige Meetings organisieren, das Team motivieren und bei der Erledigung der Aufgaben unterstützen. In ihren Beiträgen berichtet sie oft von ihren Tieren, teilt ihre Rezepte oder erzählt Geschichten.

    Besondere Fähigkeit: Alle mit ihrer Begeisterung anstecken.

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