Die Tiervorführung
Die Tiervorführung
Es war einmal ein Kanarienvogel, der im Urwald eine Melodie sang. Doch sie kam ihm sehr eintönig vor, denn er sang immer die gleiche Melodie und kannte keine andere. Der Kanarienvogel hieß Bruno. Ihm wurde sehr schnell langweilig und er war immer aufgeregt, wenn etwas Neues geschah.
Eines Tages hörte er eine leise Musik, weit in der Ferne. Bruno wurde aufmerksam. ,,Was ist denn diese fremde und wunderbare Melodie?”, dachte er aufgeregt. Voller Neugier folgte Bruno der Musik. Doch schnell wurde ihm wieder langweilig. Er brauchte Gesellschaft. Da sah er ein Krokodil, das aus einem großen Tümpel hervor schaute.
Bruno landete am Rand des Wassers und fragte das Krokodil: “Hallo Krokodil, hörst du auch diese schöne Melodie?” Das Krokodil erschrak und wich zurück ins tiefe Wasser.
“Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken.”, piepste Bruno. “Hab keine Sorge, ich tue dir nichts, ich bin nur ein kleiner Vogel.” Das Krokodil lugte aus dem Wasser hervor und seufzte erleichtert, als es den Kanarienvogel entdeckte.
“Ach so, diese Melodie”, sagte es. “Die hat mir schon den ganzen Tag Angst gemacht.” Das Krokodil stellte sich als Roko vor.
„Möchtest du mit mir der Melodie folgen, um zu sehen, wer diese Musik spielt?”, fragte Bruno aufgeregt. Doch Roko war nicht begeistert von der Idee.
“Vielleicht sind dort Menschen und ich habe schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht.”, meinte er. “Einmal haben sie mich entdeckt und sie wollten mich mit einem großen Netz fangen. Seitdem bleibe ich immer in der Nähe von meinem Tümpel.“
„Ach, mach dir keine Sorgen, dir wird sicher nichts geschehen.”, piepste der Kanarienvogel. “Wenn du die ganze Zeit im Tümpel bleibst, ist es doch so langweilig. Komm wir erleben ein tolles Abenteuer zusammen.” Roko zweifelte noch ein bisschen, doch er stimmte schließlich zu Bruno bis zum Rand des Bambuswaldes zu begleiten. Damit Roko keine so große Angst haben musste, flog Bruno vor ihm her.
Sie folgten der Melodie und kamen schließlich an den Bambuswald und da trafen sie wieder jemanden. Es war ein Panda und er stellte sich als Otto vor. Bruno flog zu ihm hin: “Hörst du diese Melodie auch?” Der Panda war gerade damit beschäftigt Bambus zu kauen und murmelte mit vollem Mund: „Melodie, was für eine Melodie?” Verwundert entgegnete der Kanarienvogel: ,,Ja, die Melodie, der Roko und ich folgen.” Otto schluckte herunter und nuschelte: “Also ich bin gerade sehr verwundert. Ich war so mit Essen beschäftigt, ich habe heute gar keine Musik gehört.”
“Hast du gar keine Angst?”, fragte Roko.
“Angst? Wieso Angst?”, erwiderte Otto. Roko war beeindruckt von der Gelassenheit des Pandas. Er fühlte sich in Ottos Gegenwart sehr sicher und seine Ängste gerieten immer mehr in Vergessenheit. Er wandte sich zu Bruno und meinte: “Ich glaube, ich habe meine Meinung geändert. Ich werde doch mit dir mitkommen, wenn der Panda auch mitkommt.” Bruno freute sich und fragte gleich nach: “Hast du Lust mit uns mitzukommen, um zu sehen, wer diese Melodie spielt?”
“Warum denn nicht.”, antwortete Otto. “Dann folgen wir mal dieser mysteriösen Musik.”
Bruno freute sich. Aber er hatte es sich einfacher vorgestellt. Der faule Panda schlenderte langsam vor sich hin. Für Bruno war diese Geschwindigkeit viel zu langsam und er begann wieder, sich zu langweilen. Auf einmal entdeckte Otto einen jungen Bambusstrauch. Er lief plötzlich so schnell wie der Wind zu ihm und begann ihn zu veschlingen. Erstaunt rissen Bruno den Schnabel und Roko das Maul auf.
Plötzlich hatte Bruno eine grandiose Idee und er flog zu Otto hinüber und zwitscherte: “Weißt du, ich habe gehört, wenn man eine Melodie hört und ihr folgt, gibt es am Ziel eine große Portion jungen Bambus!” Mit einer erstaunlich aufgeregten und energievollen Stimme sagte Otto: “Ach wirklich? Naja…würde es euch stören, wenn ich ein bisschen schneller gehen würde?” Dann rannte Otto los, so schnell wie der Wind Richtung Musik. Roko und Bruno waren sehr erleichtert. “Kommt ihr noch?” rief Otto ihnen zu und die beiden liefen dem Panda hinterher. Sie waren verwundert, dass der Panda so schnell rennen konnte.
Die Musik wurde deutlicher und immer lauter, je näher sie kamen. Auf einmal hörten sie Menschen sprechen. Roko wurde sehr ängstlich und in Windeseile versteckten sie sich hinter einem dichten Gebüsch. Von dort beobachteten sie, was vorging. Vor ihnen lag eine große freie Fläche voller Menschen. Sie sahen, wie sie fröhlich musizierten und in der Mitte war eine Zirkusbühne, auf der Affen, Tiger und andere Tiere Kunststücke vorführten. Es war ein großes Fest. Bruno war begeistert und sagte: “Das ist ja eine tolle Sache! Es ist so aufregend und es gibt überall Musik!“
Doch Roko bemerkte etwas Gefährliches und bückte sich schnell hinunter, damit er nicht bemerkt wurde. Er flüsterte mit ängstlicher Stimme: “Menschen!” Bruno versuchte Roko zu beruhigen, er sagte so leise wie möglich: ”Wir müssen doch nur vorsichtig sein und dürfen uns einfach nicht erwischen lassen.”
Otto hörte ihnen gar nicht zu. ,,Rieche ich gerade Bambus?”, murmelte er und schaute sich genauer um. Er freute sich, wie ein kleines Kind und sagte: “Bruno, ich kann es nicht glauben, du hast wirklich Recht gehabt.“ Verwirrt entgegnete der Kanarienvogel: „Womit habe ich Recht gehabt?“
“Du hattest Recht mit dem Bambus.” Bruno schaute sich verwundert um und entdeckte einen großen, jungen Bambusstrauch neben der Bühne.
”Was für ein Zufall.“, dachte sich Bruno. Doch plötzlich rannte der verfressene Panda aus dem Versteck und Richtung Bambus. Roko und Bruno sahen sich erschrocken an: „Oh nein, das wird bestimmt schief gehen.”, dachte Bruno.
Die Menschen im Publikum sahen Otto und Chaos brach aus. Es war ein Durcheinander! Manche rannten schreiend weg, es gab ein Gedränge, viele versuchten, sich aus der Menschenmenge zu befreien.
“Wir müssen Otto helfen.”, sagte Bruno zu Roko. Roko war sehr erschrocken vom Lärm und dem Chaos. Doch er wusste, dass er seinen Freund retten musste. Er riss sich zusammen und lief auf die Lichtung. Bruno flog problemlos hoch, über die Menschenmenge und versuchte den Panda im Durcheinander zu finden. Da entdeckte er einen Menschen, der sich durch die Menge drängte. In den Händen hatte er ein großes Netz. “Oh nein, er möchte damit sicher Otto einfangen!”, dachte Bruno.
Als Roko sich durch die Beine der aufgeregten Menschen drängelte, wichen die Menschen zurück. “Hier hinten ist Otto!”, rieft Bruno dem Krokodil am Boden zu. Bruno landete neben dem Panda, der sich nur auf den Bambus konzentrierte und von der Aufregung nichts mitbekam.
“Otto! Wir müssen schnell abhauen!”, rief Bruno.
Der verfressen Panda nuschelte: “Nur noch ein paar Minuten.”
Bruno entgegnete schimpfen: „Nein, du kommst jetzt!”
Roko hatte es nun auch zu ihnen geschafft. Aber als er den verfressenen Panda ansprechen wollte, stand plötzlich der Mensch mit dem großen Netz vor den drei Tiere. Roko bekam große Angst. Doch plötzlich setzten seine Instinkte ein und mit einer riesen Geschwindigkeit lief er auf den Menschen zu und versuchte ihn mit seinem großen Maul zu schnappen. Aber der Mensch war sehr geschickt und wich diesem Angriff aus. Er warf das Netz und fing Roko darin.
Roko schrie: “Hilfe, Hilfe!”
Bruno flog erschrocken hoch und dann stürzte er auf den Menschen hinunter. Er pickte ihm ins Gesicht und flog schnell wieder davon. Das gab Roko genug Zeit, um sich aus dem Netz zu befreien. Der Kanarienvogel flog zu Otto und sagte streng: “Otto, wenn du jetzt nicht kommst, lassen wir dich hier!”
Otto sah erst jetzt, was passiert war. Er ließ die Bambusstange in seiner Pfote fallen und die drei Tiere machten sich aus dem Staub.
Sie flüchteten tief in den Bambuswald. Irgendwann wurde es dunkel und sie waren alle erschöpft. Deshalb beschlossen sie, diesen langen Tag hinter sich zu bringen und suchten sich einen Unterschlupf in einer Höhle. Sie machten es sich gemütlich. Sie waren alle drei sehr erschöpft. Otto fragte ratlos: “Was machen wir denn jetzt?”
“Ich werde bestimmt nicht mehr zurück in meinen Tümpel gehen.”, antwortete Roko. “Ich habe keine Lust mehr, mich zu verstecken. Jetzt weiß ich, dass man seine Probleme überwinden muss.”
“Und ich möchte nicht immer nur an Bambus denken.”, sagte Otto.
“Das hat uns heute viele Probleme gemacht.”, stimmte Bruno zu.
“Was wirst du machen, Bruno?”, fragte Roko.
„Wir haben ja gesehen, dass die Menschen eine Vorführung gemacht haben.”, sagte Bruno. “Sie haben tolle Musik gemacht und die Tiere haben Tricks vorgeführt. Ich möchte Sänger werden.” Otto fragte neugierig: “Und weißt du schon, was du vorsingen wirst?”
“Ich werde dir mal einen Hinweis geben.”, sagte Bruno und sang dieselbe Melodie, die sie den ganzen Tag schon verfolgt hatten.
“Wir könnten ja auch eine Vorführungen machen, für die anderen Tiere!”, schlugen Roko und Otto vor. Bruno war sehr gerührt von der Idee und er meinte, dass er für die Vorführung ein Lied singen würde, sodass jeder die schöne Melodie und die abenteuerliche Geschichte hören konnte. Glücklich schliefen die drei Tiere zusammen ein.
Diese Geschichte entstand im Rahmen einer Schreibwoche des Literaturwerkstatts.